Probe, Revue des Folies, Luzerner Theater

Emil Manser und die «Revue des Folies»

Oper

Anita Bucher erzählt

Es startet bald die letzte Produktion des Luzerner Theaters dieser Spielzeit. Auf der Grundlage von Jacques Offenbachs Operette «Doktor Ox» entsteht die unterhaltsame Offenbachrevue «Revue des Folies – Doktor Ox», die ab dem 10. Juni Open-air auf dem Theaterplatz zu sehen sein wird.

Der Abend wird inszeniert von Felix Schrödinger und bietet so einige Überraschungen. Eine sei bereits verraten: Es werden acht Emil Mansers auf der Bühne zu sehen sein, die das Geschehen auf der Bühne begleiten und kommentieren. Die Brücke zum Luzerner Strassenkünstler schlägt Schrödinger über die Art, wie sich Mansers Kunst, aber auch Offenbachs «Ox» äusserst grob kapitalismus- und gesellschaftskritisch präsentiert, doch genauso menschenfreundlich und in feinen Tönen humorvoll.

Die acht Emil Mansers werden in der «Revue des Folies» dargestellt von den Lernenden der Musical Factory Luzern.

Um sich so gut wie möglich auf die Rolle vorzubereiten, haben sich die Tänzer*innen mit Anita Bucher, der ehemaligen Lebensgefährtin von Emil Manser, während einer Probe getroffen, um sich mit ihr zu unterhalten.

 

Wie habt ihr euch kennengelernt?

Anita Bucher: Kennengelernt haben wir uns 1995, da war ich 25 Jahre alt. Ich war damals immer mit meiner Frauenclique unterwegs. Eines Tages waren wir in der Nähe vom Pilatusplatz und haben den Emil vor der Kantonalbank laut rufen gehört. Mir war das unangenehm und ich wollte die Strassenseite wechseln. Er hat mich einfach genervt! Für mich war er der Stadtschreck, keine Ahnung warum. Also haben wir die Strassenseite gewechselt. Eines Tages war ich wieder in der Nähe der Kantonalbank. Als ich um die Ecke gebogen bin, stand plötzlich der Emil vor mir. Direkt vor mir. Und hat mich angeblickt. Und was dann passiert ist, das habe ich noch nie erlebt. Wir haben uns einfach angeblickt und ich konnte wirklich bis in die Tiefen seiner Seele blicken. Ich habe mich gefühlt wie in einer Achterbahn. Das war wirklich super, einfach schön. Und dieser Augenblick hat mich nicht mehr losgelassen. So hat dann alles begonnen.

Wie lange wart ihr zusammen?

Bis zu seinem Tod, das waren dann knapp 9 Jahre.

Wie war Emil Manser als Privatperson?

Er war ein unglaublich sensibler Mensch. Manchmal sehr verschwiegen, ein Mann weniger Worte. Aber wenn er was gesagt hat, dann hat das gesessen. Und er hat viel nachgedacht. Für meinen Geschmack ein bisschen zu viel. Manchmal hat er sich stundenlang im WC eingeschlossen, um seine Ruhe, auch vor mir, zu haben und nachzudenken. (lacht) Er hat ja wirklich viel, unglaublich viel erlebt in seinem Leben, aber sich das innere Kind immer bewahrt. Er war ein Schelm und wenn er gelacht hat, dann haben seine Augen immer mitgelacht!

Was wollte er mit seinen Schildern erreichen?

Er musste sich ausdrücken. Ich glaube, er wäre geplatzt, wenn er nicht hätte reden können. Die Schilder waren wie eine Befreiung seiner Gedanken, durch sie hat er sich mitgeteilt. Er hatte ja beides in sich: Er wollte gesehen werden und sich gleichzeitig hinter seinen Schildern verstecken. So war zumindest mein Gefühl.

Wie haben die Luzerner*innen auf seine Schilder reagiert?

Ich habe dazu eine Anekdote: Eines Tages kam er nach Hause und hat gesagt: «Das glaubst du nicht, aber die Leute haben einen Anspruch an mich!» Ich habe ihn dann gefragt, weshalb und was denn passiert sei. Er hat mir dann erzählt, dass er mit einem leeren Plakat unterwegs war. Da kam ein Mann auf ihn zu, blickte auf die leeren Seiten und meinte zu ihm: «Verarschen kann ich mich selber! Warum hast du nichts auf deinen Plakaten stehen?». Dann meinte Emil zu ihm: «Ich habe heute nichts zu sagen.» Der Mann wurde aber richtig sauer, weil eben nichts auf den Plakaten stand. Es gab also den Anspruch, die Erwartung, dass auf den Plakaten etwas stehen muss.

Hat er täglich Plakate gemacht?

Nein, nicht jeden Tag. Es war abhängig von der Tagesverfassung. Manchmal hat er ganz viele gemalt und manchmal gar keine. Während der Fasnacht zum Beispiel ist er immer ohne Plakate rausgegangen. Er meinte, dass er dann nicht mehr auffällt und das wäre ja nicht lustig.

Wie war sein Einfluss auf die Mitmenschen?

Sehr unterschiedlich. Manche haben ihn geliebt, manche haben ihn gar nicht gemocht oder hatten Angst vor ihm. Was mich heute besonders freut: Viele Kund*innen in meinem Laden erzählen mir heute, wie sie sich damals als Kinder gefühlt haben. Als sie fünf oder sechs waren. Und dann berichten sie, wie sie den Emil empfunden haben, ob sie Angst hatten oder ihn lustig fanden. Manche erzählen sogar, dass sie mit dem Mami extra immer da langlaufen wollten, wo der Emil war. Das freut mich natürlich.

Was bedeuteten seine Verkleidungen, zum Beispiel das Charlie-Chaplin-Kostüm?

Erstmal muss ich sagen, das waren keine Kostüme, er hat sich in dem Sinne nie verkleidet. Für ihn war auch der Charlie-Chaplin-Anzug ein ganz authentischer Ausdruck für das, was ihn gerade beschäftig hat. Natürlich hat ihn Charlie Chaplin als Figur sehr beeindruckt. Vor allem der Film mit dem kleinen Kind hat ihn sehr berührt. Und das hat ihn mit Chaplin tief verbunden. Aber insgesamt wollte er sich mit seiner Kleidung ausdrücken und mitteilen. Ganz authentisch. Und er wusste auch immer ganz genau, welches Plakat er mitnehmen wollte.

Was waren seine besten Eigenschaften?

Natürlich sein Humor! Er war ein Schelm! Und ein Philosoph. Wir haben uns teilweise nächtelang unterhalten. Und er hatte einen unglaublichen Gerechtigkeitssinn. Mit dem hat er auch mich nicht verschont. Und mir den Spiegel vorgehalten. Er war immer sehr ehrlich, sehr geradeaus. Das hat ihn so authentisch gemacht.

Hatte er auch aggressive, vulgäre Seiten?

Er hatte Phasen, in denen er sehr frustriert war. Wenn er zum Beispiel irgendwas in der Zeitung gelesen hat, was ihn beschäftigte, wo er aber gemerkt hat, er kann nichts verändern, keinen Einfluss nehmen. Da hat er sich hilflos gefühlt. Dass selbst seine Texte nichts bewirkt haben. Das hat ihn so frustriert. Und wenn er frustriert war, hat er angefangen zu trinken. Und wenn er dann in dieser Stimmung in die Stadt gegangen ist, wurde er laut und vulgär. Und teilweise auch persönlich verletzend. Das hat sich aber im Laufe seines Lebens verändert. Er wurde ruhiger und gelassener. Er wusste irgendwann, er kann nichts verändern. Wenn er ein Schmunzeln in einem Passanten hervorrufen konnte, dann war er schon zufrieden. Er hat gegen Ende seines Lebens den Anspruch an sich selbst, etwas verändern zu wollen, aufgegeben. Dadurch wurde er auch zugänglicher.

Was würde er denken, wenn er wüsste, dass er jetzt Teil in einer Offenbachrevue ist?

Es wäre natürlich eine Ehre für ihn. Es würde ihm gefallen. Er hätte recht Freude dabei, würde schmunzeln und sagen: Die spinnet jo!