Zu «ALCINA»: 10 Fragen an Barbara Ehnes
Aus welchen Gründen fiel die Wahl für dein Regiedebüt auf «ALCINA»?
Barbara Ehnes: Der Wunsch kam tatsächlich von Seiten des Luzerner Ensembles. Es war also gar nicht meine Wahl.
Aber du scheint sie gerne angenommen zu haben?
Auf jeden Fall. Der Stoff ist super interessant: Diese Geschichte der Demontage einer weisen, heilkundigen Frau bis zu dem Punkt, an dem sie nicht einmal mehr existieren darf, hat mich sehr gefesselt. Ich mochte auch die Musik von Händel schon immer gerne, aber mich nun so intensiv auch mit Ariosto und seiner Zeit zu beschäftigen, war toll.
Dein Fokus lag damit, im Gegensatz zu den meisten Inszenierungen, weniger auf dem intensiven Psychogramm der Protagonistin.
Genau. Ich wollte «ALCINA» jenseits der klassischen Figurenpsychologie denken und das Narrativ als Anlass nehmen für das Ausbreiten der Welt. Es ist extrem spannend, wie die Debatten der Zeit Händels, aber auch natürlich die aus der Zeit Ariostos in das Werk eingeflossen sind. Diese aus der heutigen Perspektive herauszuarbeiten, zu spiegeln und für die Oper zu übersetzen, fand ich so fruchtbar wie herausfordernd.
Ludovico Ariosto lebte Ende des 15. Jahrhunderts – welche Themen waren da für euch im Zusammenhang mit «ALCINA» besonders interessant?
Die Hexenverfolgung war damals ein grosses Thema des öffentlichen Diskurses. Was ist Magie? Was sind Hexen und wen darf man eine solche nennen? Wir haben uns auch intensiv mit Christine de Pizan und ihrem «Buch von der Stadt der Frauen» auseinandergesetzt, einem der ersten feministischen Werke Europas – geschrieben im Jahr 1405. Dieses Werk, aber auch weitere Literatur aus der «Querelle de femmes» tauchen in der Inszenierung auf.
Was war die grösste Herausforderung bei der Inszenierung?
Nicht die Themen waren es, kann ich rückblickend sagen, sondern die Krankheitsfälle und Umbesetzungen kurz vor der Premiere. Wir hatten jedoch auch eine lange Konzeptionszeit, in der sich vieles veränderte. Im Verlauf des vergangenen Jahres führte ich dabei viele Gespräche mit den Ensemblemitgliedern. Wir sprachen über die eigenen Ideen zur Umsetzung der Oper, oder ganz grundsätzlich über unsere Utopien und Sehnsüchte. Ich wollte auch private Leidenschaften der Sänger*innen mit einbeziehen. So fanden das Backen bei Ziad Nehme, der Ring bei Tania Lorenzo Castro oder der israelische Gaga-Tanz bei Solenn' Lavanant Linke den Weg in die Inszenierung.
Inwiefern ist die erzählte Geschichte dabei eine andere geworden?
Wir haben eine Art Collage aus Händels Oper gemacht. Durch die Platzierung in unserer Fassung erzählen die Arien plötzlich ganz neue Geschichten. Wir wollten zudem, dass Alcina ihre Kräfte zum Ende hin nicht verliert, sondern sie zurückerhält, unterstützt durch eine Reihe starker Frauen der Geschichte.
In eurer Luzerner «ALCINA» taucht eine zusätzliche Figur auf – was hat es mit dem Gürteltier auf sich?
Wir wollten eine beobachtende, aber auch unterstützende Figur schaffen, die Karla Max Aschenbrenner mit der grösstmöglichen Perspektive verkörpert. Im Gürteltier haben wir dieses Wesen gefunden, dass urzeitlich und überzeitlich zu sein scheint.
Die Bühne ist absolut beeindruckend und spricht in vielen Punkten für sich. Trotzdem: Wie seid ihr als Team zu dieser Form gelangt?
Ich arbeite schon lange eng mit der Videokünstlerin Meika Dresenkamp und der Kostümbildnerin Annabelle Witt zusammen. Unsere Bildsprache für diese Produktion entstand aus einer inhaltlichen Auseinandersetzung und einer Form der Zitatsammlung aus den unterschiedlichsten Zeiten.
Teile des Bühnenbildes liessest du aus Pilzen wachsen. Was sind die Vorteile davon?
Myzel ist ein super interessantes Material, mit dem ich in Zukunft weiterhin arbeiten werde. Für «Solastalgia», eine Koproduktion des Kunstfest Weimar und des Schauspiel Frankfurt habe ich im vergangenen Jahr erstmals mit Myzel experimentiert und dabei eine Reihe von Platten wachsen lassen. In Luzern sind es nun plastische Objekte. Mir ist es grundsätzlich wichtig, in Kreisläufen zu denken. Und bei Myzel ist toll, dass es komplett kompostierbar ist, zudem sehr preisgünstig, wenn man bei Null mit den Laborarbeiten beginnt.
Worauf soll sich das Publikum bei deiner Inszenierung einlassen?
Auf das Zulassen vieler Ambivalenzen.