Zu «Ich, aber anders»: Interview mit Anna Papst
Dominik Busch: In deiner neuesten Arbeit «Ich, aber anders» gehst du der Lust an der Verkleidung nach – wie bist du auf dieses Thema gestossen?
Anna Papst: Ich habe mich schon als Kind gerne verkleidet. Unter meinen ersten Kostümen waren die kleine Hexe, ein Cowboy – und damit meine ich einen Cowboy, und nicht ein Cowgirl – und Helvetia, weil ich die Figur auf dem Zweifränkler so schön fand. Was als Spiel mit Identitäten begann, begriff ich irgendwann als subversiven Akt: Durch Kleiden und Verkleiden lassen sich Grenzen verwischen oder unterwandern. Das gilt sowohl für die Alltagskleidung als auch für ritualisierte Verkleidungsanlässe. An der Fasnacht können wir vorgeben, reich oder berühmt zu sein, wir können uns als ungezähmtes Tier aufführen oder an Halloween die Grenze zwischen den Lebenden und den Toten auflösen.
Deine Theaterabende haben stets einen dokumentarischen Kern. Woher kommt dieses Interesse bei dir?
Ich glaube, die Realität ist überraschender als die Fiktion. Vermutlich, weil sich da eben zeigt, was für komplexe Wesen wir Menschen wirklich sind. Das hat sich bei meinen letzten Projekten immer wieder bestätigt: Meine Gesprächspartner*innen entsprechen nie dem Klischee, das wir etwa von Sträflingen, Menschen mit Depressionen oder Rentner*innen haben. Diese Personen haben ein biografisches Wissen über ebendiese Bereiche, aber daneben bringen sie noch tausend andere Eigenheiten mit, die sie auszeichnen. Eines der lustigsten Gespräche meiner Karriere habe ich mit einer Frau geführt, die sehr jung an Brustkrebs erkrankt ist; als Autorin hätte ich mich nie getraut, so über das Thema Krebs zu erzählen, aber sie als Betroffene hat eine witzige Punchline nach der anderen rausgehauen.
Für «Ich, aber anders» hast du Personen interviewt – was für Menschen hast du getroffen?
Ich habe mich auf die Suche nach Leuten gemacht, die sich regelmässig und mit Hingabe verkleiden. Einer, der sich zum Junggesellenabschied eine Hawaiikette um den Hals hängt, hätte dabei nicht meinen Kriterien entsprochen. Bei allen Gesprächspartner*innen knüpfen sich wichtige biografische Ereignisse an die Verkleidung. Einige würden auch gar nicht von Verkleidung sprechen, weil die Verkleidung zur Kleidung geworden ist. Aus einer grossen Auswahl an Gesprächspartner*innen kommen in der Inszenierung eine Dragqueen, ein Furry und zwei Fasnächtler*innen zu Wort.
Aus Interviews werden Bühnentexte. Verrätst du uns, wie diese in deiner Arbeit entstehen?
Ich zeichne alle Gespräche auf. Dann transkribiere ich die aufgezeichneten Antworten. Aus dem Transkript entnehme ich, was ich für meinen neuen Text benutzen möchte – alles andere fällt weg. Dieses Sprachrelief setze ich in einem nächsten Schritt zu einem neuen Text zusammen, der die Themen, die meine Gesprächspartner*innen in mehreren Stunden Gespräch behandelt haben, zu rund 15minütigen Monologen verdichtet. Dabei gibt es keine Fiktionalisierung – nur manchmal eine Anonymisierung, da viele der Betroffenen unerkannt bleiben möchten.
«Ich, aber anders» ist ein spartenübergreifendes Projekt: die Schauspieler*innen Martin Carnevali, Wiebke Kayser und Anna Elisabeth Kummrow treffen auf die Tänzer*innen Dario Dinuzzi und Ilaria Rabagliati – live am Flügel begleitet von Raphael Loher. Warum diese Verbindung mehrerer Sparten?
Die Fasnacht ist ja auch ein transdisziplinärer Festakt, wie wohl fast alle Rituale. Da kommen Verkleidung, Musik, Sprache und Tanz zusammen. Darum habe ich ein Team zusammengetrommelt, mit dem ich all diese Elemente in den Theaterraum holen kann. Dazu gehören unbedingt auch die Kostümbildnerin Zoé Brandenberg und der Bühnenbildner Renato Grob. Für mich war es wichtig, die Transformation, die wir durch Verkleidung erfahren, nicht nur mit Worten zu beschreiben, sondern als Vorgang greifbar zu machen.
«Ich, aber anders» feiert seine Uraufführung in Luzern – ein Zufall?
Nein, die Inszenierung würde es gar nicht geben, wenn die Uraufführung nicht in Luzern stattfinden würde. Als ich vom Luzerner Theater den Auftrag erhielt, ein neues dokumentarisches Projekt zu erarbeiten, habe ich mich gefragt: Worüber wissen viele Luzerner*innen besser Bescheid, als dies vielleicht an anderen Orten der Fall wäre? Welche biografischen Erfahrungsräume sind in der Region Zentralschweiz bei besonders vielen Menschen stark ausgeprägt? Schon früh in meiner Recherche hat mir eine Gesprächspartnerin gesagt, sie glaube, dass die Luzerner*innen eher auf Weihnachten und Ostern verzichten würden als auf die Fasnacht. Sie ist für viele Menschen hier ein zentrales, ja wichtiges Ereignis im Jahreskalender. Also wusste ich, dass es in Luzern viele Expert*innen gibt, wenn es ums Verkleiden geht. Von dieser Grundannahme bin ich ausgegangen und habe die Lust an der Verkleidung, die Freude an der Verwandlung dann auf weitere Formen und Subkulturen ausgeweitet.