«Das Bildnis des Dorian Gray»: Narziss
Narcissus
Ovid
Sieh den lauteren Quell mit silberglänzendem Wasser!
Niemals hatten ihn Hirten berührt, niemals im Gebirge
Weidende Ziegen noch anderes Vieh, nie hatte in Vogel
Oder ein Wild ihn getrübt noch ein Ast, vom Baume gefallen.
Gras stand rings um ihn her, das die Nähe des Wassers ernährte,
Und ein Wald, der der Sonne verwehrte, den Ort zu erhitzen.
Hier sank nieder der Knabe, ermüdet von eifrigem Jagen
Und von der Hitze, gelockt von dem Quell und der Anmut des Ortes.
Doch wie den Durst er zu stillen begehrt, erwächst ihm ein andrer
Durst: beim Trinken erblickt er herrliche Schönheit; ergriffen
Liebt er ein körperlos Schemen: was Wasser ist, hält er für Körper.
Reglos staunt er sich an, mit unbeweglichem Antlitz,
Starr, einer Statue gleich, die aus parischem Marmor geformt ist.
Liegend am Boden erschaut er das Doppelgestirn seiner Augen,
Sieht seine Haare - sie hätten Apollo geziert oder Bacchus -,
Sicht die Wangen der Jugend, den Hals, der wie Elfenbein schimmert,
Seinen so zierlichen Mund und die Farbe von Schnee und von Rosen.
Alles bewundert er jetzt, weshalb ihn die andern bewundern:
Sich begehrt er, der Tor, der Liebende ist der Geliebte,
Und der Ersehnte der Sehnende, Zunder zugleich und Entflammter.
Oh, wie küsst' er so oft – vergeblich! - die trügende Quelle,
Tauchte die Arme so oft in das Wasser, den Hals zu umschlingen,
Den er erschaut, und kann sich doch selbst im Gewässer nicht fassen.
Was er ersieht, nicht weiss er's; er sieht's, und es setzt ihn in Flammen,
Und seine Augen betrügt und entzündet der nämliche Irrtum.
Gläubiger Knabe, du haschest vergeblich nach flüchtigen Bildern!
Nirgends ist, was du ersehnst; was du liebst, du wirst es vernichten,
Wenn du dich wendest; du siehst nur ein nichtiges Spiegelgebilde;
Eigenes Wesen gebricht ihm: mit dir erscheint es und dauert,
Mit dir geht es hinweg - wofern du zu gehen vermöchtest!
Weder der Hunger noch Ruhebedürfnis vermag von der Stelle
Ihn zu vertreiben: er schaut, im beschatteten Grase gelagert,
Hin nach der Lügengestalt mit niemals gesättigtem Blicke,
Ganz durch die eigenen Augen vernichtet. Dann ruft er, ein wenig
Aufgerichtet, die Arme zu den rings stehenden Bäumen
Breitend: »Hat je ein Mensch so grausam geliebt, o ihr Wälder?
Ihr ja wisst es, denn vielen habt freundlich Versteck ihr geboten!
Während so viele Jahrhunderte eueres Lebens verstrichen,
Könnt ihr euch eines erinnern, der je sich so jämmerlich quälte?
Lieben - ich muss es und schauen; doch was ich erschaue und liebe,
Kann ich nicht greifen: den Liebenden hemmt eine mächtige Täuschung.
Und dass wachse mein Leid: nicht das Meer, das gewaltige, trennt uns,
Nicht eine Strasse, kein Berg, keine Wand mit verschlossener Pforte,
Nur ein winziges Wasser! Er selbst wünscht meine Umarmung!
Denn so oft ich zum Kuss nach dem klaren Gewässer mich neige,
Gleich oft strebt er mir zu mit empor sich wendendem Munde.
Möglich scheint die Berührung: die Liebenden trennt nur ein Kleines.
Wer du auch seist, komm heraus! Was täuschst du mich, einziger Knabe?
Wenn ich dich fasse, wo schwindest du hin? Du kannst doch vor meiner
Jugendschönheit nicht fliehn? Selbst Nymphen ersehnten mich einstmals.
Eine verborgene Hoffnung verspricht mir dein freundliches Antlitz;
Streck ich die Arme nach dir, von selber streckst du die deinen;
Lache ich, lachst du mir zu; und oftmals habe ich deine
Tränen bemerkt, wenn ich weinte; durch Nicken schickst du mir Zeichen,
Und deines reizenden Mundes Bewegung lässt es mich ahnen,
Dass du auch Worte mir spendest, die nicht zu den Ohren mir dringen.
Ach, ich bin es ja selbst! ich merk es, mein Bild ist mir deutlich!
Liebe zu mir verbrennt mich: ich schüre die Glut, die ich leide.
Ach, was beginnen? Ihn bitten? Doch was? Soll der andere bitten?
Mein ist, was ich ersehne; ich möchte mich schenken und kann nicht.
Oh, wenn ich doch von dem eigenen Leib mich zu trennen vermöchte!
War es denn je eines Liebenden Wunsch, was er liebt, möge schwinden?
Und schon raubt mir die Kräfte der Schmerz; es bleibt mir vom Leben
Nur noch wenig: ich muss in der blühendsten Jugend erlöschen.
Schwer ist der Tod mir nicht - er wird vom Leid mich erlösen -!
Meinem Geliebten - ich wünschte ihm wohl in längeres Leben!
Doch jetzt sterben wir beide, vereinigt in einzigem Hauche.»
Sprach's und wandte, der Tolle, sich wieder zur gleichen Erscheinung,
Und er trübte mit Tränen die Flut durch des Wassers Bewegung
Wind verdunkelt das Bild. Als er sah, wie es verschwand, rief er kläglich
»Oh, wohin fliehst du davon? So bleibe, du Grausamer, lass mich,
Der dich liebt, nicht allein! Was mir zu berühren versagt ist,
Darf ich doch wenigstens sehn und die Wut, die unselige, schüren!«
Während er jammerte, streifte er ab das Gewand, und mit Händen,
Welche wie Marmor glänzten, zerschlug er die Brust sich, die nackte.
Da überzog von den Schlägen die Brust sich mit rötlicher Farbe,
So wie die Apfel es pflegen, die hier noch helle, dort rot sich
Färben, oder den Beeren der Trauben, den bunten, vergleichbar,
Welche, noch unreif, in purpurner Farbe zu schimmern beginnen.
Als er es sah in dem wiederum helle gewordenen Spiegel,
Konnt' er es nicht mehr ertragen: wie gelbliches Wachs in dem leichten
Feuer zerschmilzt, wie Reif in den Morgenstrahlen der Sonne
Rasch vergeht, so zerrann der Knabe, vom Leide der Liebe
Sich verzehrend, allmählich verbrannt von verborgenem Feuer.